Fünf
Milliarden Dollar wird die FIFA voraussichtlich mit der WM in Brasilien
einnehmen. Und keinen Cent Steuern im Gastgeberland zahlen. Stattdessen gibt es
Knebelverträge, Sondergesetze wie Streikverbot und Repressionen gegen
Protestierende. Viele Brasilianer befürchten, dass sie die millionenschweren
Verlierer der WM werden, egal wie das Turnier für sie ausgeht. – Ähnlich wie es
Südafrika 2010 erging. In Rio de Janeiro formiert sich Widerstand. Frontal21
über das fehlende Fair Play bei der FIFA.
Ein Angebot, das wir nicht ablehnen können?
Alle vier Jahre macht uns die FIFA ein
Angebot, das wir nicht ablehnen können: Sie organisiert uns die
Fußball-Weltmeisterschaft. Die gucken wir alle – und verschaffen damit einem
Verein Milliarden, der dem Gesetz nach nicht gewinnorientiert und gemeinnützig
ist – und deshalb steuerlich begünstigt. FIFA-Boss Sepp Blatter sieht sich auch
lieber als Weltverbesserer denn als Chef eines korrupten Clans. Doch an den
Austragungsorten der WM läuft alles wie geschmiert – und trotzdem gar nicht
rund. Unsere Autoren berichten über Gewinner und Verlierer im
FIFA-Milliardenspiel.
Die FIFA hat das Sagen
Rio de Janeiro: Seit einem Jahr
demonstrieren sie hier regelmäßig – gegen die elf Milliarden Euro teure WM und
gegen den Weltfußballverband FIFA, den sie als Besatzungsmacht empfinden.
Francisco Brito, Anti-FIFA-Demonstrant:
“Für wen hält sich die FIFA eigentlich? Sie kommt her und sagt, was man darf
und was nicht. Muss ich jetzt me inen Reisepass vorzeigen, am Maracana-Stadion,
weil die FIFA das Sagen hat?”
Auch die Studentin Anaterra und ihr Freund
Felipe protestieren gegen die Fußball-Weltmeisterschaft in ihrem Land, obwohl
beide den Fußball leidenschaftlich lieben – aber nicht diese Fußball-WM.
Anaterra Oliveira, Studentin: “Die
Regierung hätte das Geld viel sinnvoller verwenden können. Wir brauchen ein
besseres Gesundheits- und Bildungssystem und keine WM. In Brasilien geht es
immer nur um Fußball. Wir lieben Fußball, aber wir brauchen andere Dinge wie
Bildung viel dringender.
Sondergesetze, Streikverbot, Repression
Zürich: Hier residiert die FIFA in einer
der teuers ten Metropolen der Welt. Die Geschäfte laufen glänzend. Fünf
Milliarden Dollar – so die Prognosen – wird der Weltfußballverband mit der WM
in Brasilien einnehmen. In Zürich treffen wir Eva Geel von „Solidar Schweiz “ –
einem Hilfswerk, das die FIFA-Politik scharf kritisiert.
Eva Geel, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk
Solidar Suisse: “Wir bewerten das eigentlich, wie wenn die FIFA eine fremde
Macht wäre, die jetzt nach Brasilien kommt und dort Knebelverträge durchdrückt.
Wenn ein Land, die WM austragen will, und das ist bei Brasilien auch so, dann
muss es ganz strenge Verträge unterschreiben. Und dazu gehören Sondergesetze.
In diesen Sondergesetzen sind zum Beispiel ein Streikverbot kurz vor der WM
drin, sind ganz starke Sicherheitsauflagen drin und Repression gegen
protestierende Bürger und Bürgerinnen.”
“Wir müssen zwei bis drei Kilometer Abstand
halten”
Seit 30 Jahren arbeitet Dailton Soares –
genannt Dada – als Straßenverkäufer in Rio de Janeiro. Bis vor einem Jahr
konnte er seine Getränke und Snacks bei jedem brasilianischen Ligaspiel direkt
vor dem berühmten Maracana Stadion verkaufen. Das darf er jetzt nicht mehr. Vor
einem Jahr hat ihm das die FIFA verboten, wie tausenden anderen
Straßenverkäufern in ganz Brasilien.
Dailton Soares, Straßenverkäufer: “Eine
Schweinerei, eine echte Schweinerei. Sie verbieten uns Straßenhändlern nicht
nur den Verkauf. Sie verbieten uns auch, überhaupt in die Nähe des Maracana
Stadions zu kommen. Wir müssen zwei bis drei Kilometer Abstand halten. Das ist
doch verrückt.”
Jetzt dürfen im und am Stadion nur noch von
der FIFA autorisierte Händler lizensierte Produkte verkaufen. Die FIFA erklärt
uns das mit „Sicherheitsgründen“. Auf ihrer offiziellen Getränkekarte finden
sich nur noch die Sponsoren der WM, regionale aber auch internationale. Für
Dada und seinen Stand ist hier kein Platz mehr. Die WM ist für ihn jetzt schon
eine Enttäuschung. “Mir ist wichtig, dass ich arbeiten kann. Dass Lehrer und
Ärzte gut bezahlt werden. Wie es mit der Bildung weitergeht. Das alles macht
mir mehr Sorgen”, so Dada.
Glänzende Geschäfte, uneingeschränkte Freiheiten
Dada gehört zu den Verlierern der WM. Für
die FIFA dagegen ist sie ein glänzendes Geschäft. Denn sie verlangt von
Austragungsländern Steuerfreiheit – für sich und die Sponsoren. Und das über
viele Jahre. Ein Skandal, sagt Hans Kogels, Professor für Steuer recht in den
Niederlanden:
“Die FIFA möchte für sich und ihre
Sponsoren, wie sie selbst sagt, uneingeschränkte Freiheiten. Das heißt: eine
Befreiung von jeglicher möglichen Art der Besteuerung. Und zwar vom Zeitpunkt
der WM-Vergabe an. Bis zum Abschluss des jeweiligen Turniers. Egal wo die WM
stattfindet, keine Steuern.”
Wir fragen bei der FIFA nach. Schriftlich
teilt man uns mit, Zitat: [Die] „FIFA unterliegt hinsichtlich sämtlicher von
FIFA erwirtschafteter Gewinne der Besteuerung in der Schweiz.“ Und weiter heißt
es: „Aufgrund der statuarischen Aufgabe … wäre eine Besteuerung in jedem
einzelnen Ausrichtungsland organisatorisch nicht darstellbar…“
Dazu Eva Geel vom Schweizerischen
Arbeiterhilfswerk Solidar Suisse: “Das ist natürlich ein Skandal. Und sie
weigern sich aber in Brasilien Steuern zu zahlen und sagen: Ja, wir bezahlen ja
in der Schweiz Steuern. Dazu muss man einfach wissen, in der Schweiz ist die
FIFA auf Bundesebene steuerbefreit – zahlt also keine Steuern. Und auf
Kantonsebene zahlt sie gerade mal die Hälfte der Steuern, die ein normales
Unternehmen zahlen würde, weil sie ein Verein ist. Und als Verein zahlt man nur
vier Prozent statt acht Prozent Gewinnsteuer.”
FIFA wird besteuert wie ein kleiner Jodelverein
Die FIFA wird in der Schweiz also wie ein kleiner
Jodelverein besteuert. Das lohnt sich für den Weltfußballverband. 2013 zahlte
die FIFA rund 17 Millionen Dollar Steuern – bei einem Gesamtertrag von 1386
Millionen Dollar, also fast 1,4 Milliarden, so der aktuelle Finanzbericht. Auch
bei der WM 2010 zahlte die FIFA in Südafrika keine Steuern. Nahm aber über drei
Milliarden Euro ein. Für Südafrika blieben Schulden und unrentable
Fußballtempel. Wie in Mbombela im Osten des Landes. Das WM-Stadion kostete 100
Millionen Euro, erlebte jedoch nur vier WM-Spiele.
WM-Altlasten in Südafrika
Die Einnahmen aus Rugby- und
Fußballspielen, die jetzt im Stadion stattfinden, decken bei weitem nicht die
Kosten. Die Stadt subventioniert den Stadion-Unterhalt mit umgerechnet 70.000
Euro im Monat. Während hier der Rasen regelmäßig gewässert wird, gibt es im
benachbarten Township Mataffin bis heute kein fließendes Wasser. Ein- bis
zweimal die Woche kommt der Tankwagen mit Trinkwasser.
Iman Milanzi hatte die Hoffnung, dass alles
besser werden würde. Er hatte einen Job, als das Stadion gebaut wurde. Doch
seitdem ist er arbeitslos, wie so viele im Township, ohne jede Perspektive. Die
Versprechen, dass die WM Verbesserungen bringen würde, erwiesen sich als
Trugschluss.
Iman Milanzi: “Es ist schmerzhaft, jeden
Tag das Stadion zu sehen. Es erinnert mich an das Schlechte in dieser Welt. So
viel wurde uns versprochen, fließend Wasser, nichts wurde gehalten. Das Stadion
steht für Verrat und für Lügen.”
Zwei Milliarden Euro Verluste – doch FIFA steigert
Einnahmen um 50 Prozent
Die WM kostete Südafrika umgerechnet vier
Milliarden Euro. Statt eines erhofften Gewinns blieben für das Land Verluste
von zwei Milliarden Euro. Die FIFA jedoch steigerte ihre Einnahmen im Vergleich
zur WM 2006 um 50 Prozent – nahezu steuerfrei.
Und gleichzeitig steigen die Bezüge für die
führend en FIFA-Funktionäre seit Jahren. Von 13,9 auf 36,3 Millionen Dollar.
Gewinner sind die FIFA und die Sponsoren. Die Bevölkerung hat nichts von der
WM. Und deshalb gibt es immer mehr Widerstand wie derzeit in Brasilien – mit
möglichen Konsequenzen für künftige Vergaben der WM.
Eva Geel, Schweizerisches Arbeiterhilfswerk
Solidar Suisse: “Das ist natürlich schon die Tendenz, die wir beobachten und
die uns auch sehr besorgt, dass solche Sportereignisse vor allem in
undemokratische Staaten vergeben werden. Weil nur dort können diese harten
Auflagen noch gegen den Widerstand der Bevölkerung überhaupt durchgedrückt
werden.”
Wir fragen den Deutschen Fußball-Bund: Wie
steht er zu den Protesten in Brasilien, zur Steuerbefreiung der FIFA? Die
Antwort: kein Interview für Frontal21. Nächste Woche treffen sich in São Paulo
die 209 Mitgliedsverbände zum FIFA-Kongress. Hauptthema: Reformen – und der
Kampf gegen Korruption. Das Thema ist brand aktuell. Und mit Sicherheit gibt es
viele Diskussion um die WM-Vergabe an Katar vor vier Jahren.
“Kultur der Korruption!”
Im Mittelpunkt: Mohamed Bin Hammam,
Ex-FIFA-Vizepräsident aus Katar. Er soll Millionen an verschiedene
FIFA-Offizielle gezahlt haben, um die WM 2022 in den Wüstenstaat zu holen. Der
englische Fußballverband fordert jetzt wiederholt eine Neuvergabe der WM 2022.
Der ehemalige Chef des Verbandes, Lord David Triesman, lässt an der FIFA kein
gutes Haar:
“In der FIFA herrscht die Kultur der
Korruption. Die Realität ist: Bevor nicht alle alten Herren, die die FIFA seit
Jahren und Jahrzehnten führen, gehen – und ich meine alle – gibt es keine
Neuausrichtung. Es sieht so aus, als würde Sepp Blatter noch weiter regieren
wollen, er wird ankündigen, für Veränderungen zu sorgen. Ich sage: Das haben
wir so oft gehört. Ich glaube nicht daran, dass sich jemals etwas ändert
innerhalb der FIFA.”
Sepp Blatter als Chef eines Verbrechersyndikats?
Seit 20 Jahren ist der BBC-Journalist
Andrew Jennings der Korruption im Weltfußballverband auf der Spur. Der weltweit
anerkannte FIFA-Kritiker findet klare Worte:
“Die FIFA ist ein Verbrechersyndikat. Geld
wird verteilt, ein paar WM–Tickets und so, und die Loyalität wird immer größer.
Sie müssen verstehen warum! Blatter bleibt an der Macht, auch durch die Leute,
die nachweislich Schmiergelder genommen haben, aber nicht von ihm bestraft
werden. Deswegen halten sie ihn für den besten Präsidenten, den sie jemals
hatten.”
Jahrelang schwieg die FIFA zu Korruption.
“Warum auch beichten, wenn man nichts bereut?” – fragt nicht Sepp Blatter,
sondern Don Corleone im Film „Der Pate 2“.
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